Ode an die professorale Prophezeiung
von th
Zugegeben, ich komme nur selten pünktlich, obwohl ich seit neuestem Frühaufsteher bin (senile Bettflucht?).
Die undeutsche Charakterschwäche der Unpünktlichkeit hängt mir aber schon seit Jahrzehnten an. Schuld daran ist ein Professor, der mich verhext hat. Blicken wir also verspätet zurück: Ich musste studienhalber eine Semesterarbeit einreichen, um einen „Schein“ zu erlangen. Hat man genügend Scheine, darf man seine Diplomarbeit einreichen.
Rechtzeitigkeit vorausgesetzt. Spätester Abgabetermin für die Semesterarbeit war ein Freitag um 12.00 Uhr. Ich kam um 12.07 Uhr, im Gepäck einen Entwurf für ein futuristisches Gebäude. Dergleichen Bauwerke brauchen halt etwas länger.
In aller Seelenruhe schaute er meine Arbeit an, legte sie beiseite und eine gefühlt stundenlange Gesprächspause ein. Dann sagte er: „Du kommst zu spät.“ Wieder Pause..., seine Gesichtszüge nahmen einen verschmitzten, freundlichen Ausdruck an. „Ich kenne euch alle ewigen Zuspätkommer. Und ich prophezeie dir, du wirst immer zu spät kommen, dein Leben lang.“
Er sollte im Wesentlichen Recht behalten. Ganz arg ist es aber nicht gekommen. Meinen Schein habe ich noch bekommen. Ab und zu bin ich aus Versehen mal pünktlich, wie z.B. heute um 12.42 Uhr (natürlich auf den letzten Drücker). Die Ausstellung „Gesichter/ NS-Zwangsarbeit in Hameln-Pyrmont“ im Hamelner Münster hatte nach Ankündigung und Flyer heute ihren letzten Öffnungstag, und ich wollte sie nicht verpassen.
Da war aber außer eiskalten Steinblöcken, und einer, in stiller Einkehr versunkenen, Frau eigentlich nichts. Zumindestens keine Ausstellung mehr.
Wieder so ein Black Friday.
hültho